Die Oszillation der Semantik – Christa Wolf: Störfall. Nachrichten eines Tages
Alles, was ich habe denken und empfinden können,
ist über den Rand der Prosa hinausgetreten.
So wie unser Gehirn arbeitet, können wir nicht schreiben.
In Störfall schildert die Ich-Erzählerin Ereignisse, Gefühle, Gedanken und Reflexionen desjenigen Tages, an welchem sie die Nachricht von der Reaktorhavarie in Tschernobyl und die Ausbreitung der radioaktiven ‘Wolke’ bis Mitteleuropa empfängt. An eben diesem Tag unterzieht sich der Bruder der Erzählerin einer schweren Hirnoperation.
Der Text ist zweiteilig gebaut, mit einer Gelenkstelle des Übergangs im Umfang von einigen Seiten: Im ersten Teil nimmt die Erzählerin eine Art Schadensermittlung vor, die sich nicht nur auf die Auswirkungen des GAU auf die Umwelt des Menschen, seine Lebensgrundlage und körperliche Gesundheit / Unversehrtheit bezieht, sondern auch auf die durch die Wolke verursachten semantischen Verschiebungen und fundamentalen Verunsicherungen. Der zweite Teil stellt dahingegen die Frage nach der eigenen Mitverantwortung in den Mittelpunkt, die sich auf die Suche nach den Ursachen begibt und notwendige und mögliche Konsequenzen aus diesen Befunden darlegt.
Schreiben als ‘Arbeit am Gedächtnis’
Schon lange interessierte sich Christa Wolf für das Wechselspiel von Erinnern und Vergessen. So beginnt ihr Roman Kindheitsmuster mit den Sätzen: “Das Vergangene ist nicht tot; es ist nicht einmal vergangen. Wir trennen es von uns ab und stellen uns fremd.”1 Wolf thematisiert hier ihren “Versuch, die Arbeit des Gedächtnisses zu beschreiben”, angesichts der “Unzuverlässigkeit d(…)es Gedächtnisses, das nach dem Inselprinzip arbeitet und dessen Auftrag lautet: Vergessen!”2.
Ein Sich-Abarbeiten an der Erinnerung, ein Thematisieren des Erinnerns wäre demnach eine wichtige Funktion von Literatur im allgemeinen und bildet – schon lange vor Störfall – ein selbstgestecktes Ziel und Anliegen von Wolf im besonderen.
Die Literaturwissenschaftlerin Ortrud Gutjahr sieht diese Form von Gedächtnisarbeit als charakteristisch für Wolfs Texte an:
So legt Christa Wolfs Prosa mit ihrer archäologischen Erinnerungsarbeit nicht das einst Verlorene frei, sondern die durchs Vergessen fragmentierte und im Erinnern neu zusammengefügte Gestalt dieses Verlustes. In der Erinnerungsarbeit rekonstruiert sich in der Prosa Christa Wolfs jedoch ein Gedächtnis, in dem sich die Bilder der Vergangenheit herausbilden, die als Erfahrungsspeicher dienen können.3
Wolf bezeichnet solche erfahrungsspeichernden Bilder der Vergangenheit als ‘Ur-Muster’ und versteht sie – zumindest in ihrem Lesen und Schreiben betitelten Essay, der eine ‘Ehrenrettung’ der Prosa darstellt, – als überwiegend lesend erworben. In einem Gedankenspiel, was ihr alles fehlen würde, hätte sie niemals lesen gelernt, zählt sie verschiedenste ‘Erinnerungsfiguren’ auf, die aus Mythen und Sagen stammen oder literarischen Ursprungs sind.
Beginne ich in mir abzutöten: das makellose, unschuldig leidende Schneewittchen und die böse Stiefmutter, die am Ende in den glühenden Pantoffeln tanzt, so vernichte ich ein Ur-Muster, (…). Ich kenne auch keine Sagen, habe mir nie gewünscht, an der Seite des hürnenen Siegfried dem Drachen gegenüberzutreten; niemals bin ich vor einem Rauschen im finstern Wald erschrocken: Rübezahl! Die Tierfabeln habe ich nie gelesen, ich verstehe nicht, was das heißen soll: ‘listig wie ein Fuchs’, ‘mutig wie eine Löwe’. Eulenspiegel kenne ich nicht, habe nicht gelacht über die Listen der Schwachen, mit denen sie die Mächtigen besiegen. Die Sieben Schwaben, die Schildbürger, Don Quijote, Gulliver, die Schöne Magelone – hinweg mit ihnen. Weg mit dem ohnmächtig donnernden Zeus und der Weltesche Yggdrasil, weg mit Adam und Eva und dem Paradies. Nie ist eine Stadt mit dem Namen Troja um einer Frau willen bestürmt und eingenommen worden. Nie hat ein Doktor Faustus mit dem Teufel um seine Seele gerungen.4
Bezugnehmend auf Kindheitsmuster und auf die Rolle der Schriftsteller schrieb Heinrich Böll 1979, daß Gesellschaften genauso wie Individuen zum Erhalt ihrer ‘Gesundheit’ die Erinnerung an ihre Vergangenheit benötigten, die qua Literatur garantiert sei und den ‘Aufbauenden’ ein Dorn im Auge. Den gesellschaftstragenden Kräften sei am Abhandenkommen der Erinnerung gelegen:
Die Literatur bringt eben im Gegenwärtigen das Vergangene immer mit, und da fühlen sich die munter Aufbauenden – hier wie da (in beiden deutschen Staaten, S.J.) – belästigt, behindert. Sie wollen Amnestie und praktizieren Amnesie. (…) Amnesie ist eine Krankheit, die mit Gedächtnisschwund oberflächlich, mit Erinnerungsschwund besser bezeichnet ist. Ein Mensch, eine Gesellschaft ohne Erinnerung ist krank. (…) Was ist Beschäftigung mit Geschichte denn anderes als ein Versuch, das Vergangene zu bewältigen, seine Ursachen und seine Folgen herauszufinden – und was für den Historiker seine Quellen sind, ist für den Autor die Erinnerung, die er mit den ‘objektiven’ Fakten konfrontiert. Um diese permanente Belästigung durch Autoren zu verhindern, müßte man die Erinnerung verbieten, möglichst, damit es unter Deutschen auch klappt, gesetzlich. Man müßte also die Krankheit Amnesie gesetzlich verordnen.5
Zu einer gesetzlich verordneten Amnesie, wie Böll es ironisch vorschlägt, sieht die Erzählerin in Irmtraud Morgners Entwürfen zum dritten Teil ihrer Romantrilogie, die unlängst unter dem Titel Das heroische Testament veröffentlicht wurden, im Zeitalter der elektronischen Medien keine Notwendigkeit – das Problem sei längst subtiler und eleganter gelöst: “Und die Massenmedien arbeiten ständig am Menschen ohne Erinnerung, indem sie ihn ständig mit Neuigkeiten vollstopfen.”6
Wenn Wolf den überlieferten Geschichten generell einen großen Stellenwert zuweist, erscheint es lohnend, auch ihren nach der Reaktorkatastrophe von Tschernobyl entstandenen Text Störfall hinsichtlich der Dynamik der Erinnerungsfiguren des kulturellen Gedächtnisses zu lesen. Umso mehr, als dieser Nachrichten eines Tages 7untertitelte Text in Verbindung mit Morgners Zitat über die das Vergessen garantierenden ‘Neuigkeiten’ des Medienzeitalters einen interessanten Kontrapunkt bietet: Im Störfall geht es um die durch die Neuigkeiten aus der Ukraine veranlaßte Suche nach den individuellen wie kollektiven Erinnerungen, die angesichts des von der Erzählerin empfundenen Grauens der radioaktiven Bedrohung Halt bieten sowie bei der Ursachenanalyse und dem Ringen um Perspektiven einer möglichen Zukunft hilfreich zur Seite stehen könnten.
Ich werde Wolfs Text anhand von drei thematischen Kreisen entlang der im Text vorkommenden Erinnerungsfiguren und den Geschichten, Bildern und Zusammenhängen, die sie aktivieren, aufschließen. Der erste Themenkreis ist der der Wolke und der Schadensermittlung, in dessen Mittelpunkt Brechts Gedicht Erinnerung an die Marie A. steht. Der zweite dreht sich um die Frage der Geschwisterliebe (als ‘intersexueller’/geschlechterübergreifender Erweiterung eines Ideals der Brüderlichkeit), die anhand der Geschichte von Kain und Abel sowie des Märchens Brüderchen und Schwesterchen beleuchtet wird. Weiterhin thematisiert dieser Kreis den Diskussionsstand der Hirnforschung der achtziger Jahre samt damals gängiger Klischees sowie Bezüge zu Joseph Conrads Herz der Finsternis. Der letzte Themenkreis widmet sich mit dem Faust-Stoff der Frage nach einer Ethik der Wissenschaften und der Verantwortlichkeit von Wissenschaftlern für die Folgen ihrer Resultate.
Die Wolke oder Schadensermittlung
Im Übergang der beiden Textteile des Störfall schiebt sich eine Melodie in das Bewußtsein der Erzählerin, die sich allmählich als Vertonung des Brechtschen Gedichts Erinnerung an die Marie A.8 herauskristallisiert. Das lyrische Ich berichtet darin von einer früheren Liebesbegegnung, die längst vergessen wäre, wenn nicht eine weiße Wolke am Spätsommerhimmel den küssenden Betrachter fasziniert und so die Erinnerung an die Liebe mit dem Bild der Wolke verknüpft hätte (“Und auch den Kuß, ich hätt ihn längst vergessen / Wenn nicht die Wolke da gewesen wär”).
Diese Textstelle ist aus zwei Gründen interessant: Erstens steht sie im Kontext einer Suche, die sich an den Bildern und Assoziationen, Bedeutungsverschiebungen und Ängsten entlangarbeitet, die die radioaktive Wolke über Mitteleuropa auslöst und aufruft. Zweitens bringt der Titel des Brecht-Gedichts das Thema Erinnerung und sein Inhalt die Dynamik der Verknüpfung von Gedächtnisinhalten explizit ins Spiel.
Von daher möchte ich meine Analyse des Störfall von hier aus ihren Ausgangspunkt nehmen lassen, möchte die Erinnerung der Erzählerin an die Erinnerung des lyrischen Ich bei Brecht an eine fast vergessenene Liebe, beides geweckt durch eine – wenn auch toxikologisch der jeweils anderen diametral entgegengesetzten – Wolke, als Einlaßstelle für die Betrachtung der Erinnerungsfiguren und der Thematisierung des Erinnerns, des Gedächtnisses und des Gehirns im vorliegenden Text nutzen.
Bei der Schadensermittlung dessen, was diese unsichtbare Wolke über Mitteleuropa in den Menschen und ihren Lebensbedingungen zerstört hat, assoziiert die Erzählerin immer wieder Fragmente aus Gedichten, Reimen, Volksliedern etc.
Der erste dieser intertextuellen Bezüge9 (“Die Vögel und der Test.”10) zitiert den Titel eines Gedichts von Stephan Hermlin, in welchem von der Änderung der Vogelflugrouten nach den US-amerikanischen Wasserstoffbombentests in den fünfziger Jahren berichtet wird. Auf denselben Kontext verweist der dem Zitat vorhergehende Satz, den die Erzählerin “eine Person in (sich)” hat “denken hören”, nämlich die Frage, “warum immer nur die japanischen Fischer. Warum nicht auch einmal wir.”11, mit dem sie auf ein spektakuläres Unglück anspielt: Am 1.3.1954 testeten die USA auf dem Bikini-Atoll die Wasserstoffbombe ‘Bravo’. Obwohl der Wind sechs Stunden vor der geplanten Explosion gedreht hatte, so daß das Fallout offensichtlich die Inseln Rongelap und Rongerik bedrohen würde, wurde der Test nicht verschoben. Neben den Bewohnern der genannten Inseln traf der ‘Ascheregen’ die Besatzung des japanischen Fischerbootes ‘Fukuryu Maru (Glücksdrache) 5’, das sich außerhalb der gesperrten Zone um das Versuchsgebiet befand. Die Fischer arbeiteten weiter, anstatt sich wie die Besatzungen der amerikanischen Beobachtungsschiffe, die durch ihre Geigerzähler auf die Gefahr aufmerksam geworden waren, unter Deck zu begeben. Die Fischer litten infolgedessen unter stärksten Symptomen der ‘Strahlenkrankheit’, verkauften jedoch in Unwissenheit der Kontamination nach ihrer Rückkehr ihren Fang auf den lokalen Märkten. Mit Bekanntwerden dieser Zusammenhänge brach in Japan weite Empörung aus, die zu einer genaueren Untersuchung der radioaktiven Belastung des mittleren Pazifik führte, woraufhin fünfhundert Tonnen radioaktiver Fische vergraben wurden.12
Durch den thematischen Rückgriff auf die Tests der fünfziger und sechziger Jahre (“daß die Strahlenbelastung zur Zeit der überirdischen Kernwaffentests in den sechziger Jahren größer gewesen sein soll als jetzt”)13 kommen mehrere Aspekte in den Blick: Zum einen wird der Bogen von der heutigen Bedrohung durch Störfälle in Atomkraftwerken, also der zivilen Nutzung der Kernenergie, zu ihren militärischen Ursprüngen gespannt. Die Atombomben haben von Beginn an immer auch die Zivilbevölkerung geschädigt: Sei es konkret als Opfer der Abwürfe auf Hiroshima und Nagasaki im August 1945, seien es die in der Nähe der oder sogar in den Testgebieten lebenden Menschen im Pazifik, in Australien, Algerien, Kasachstan oder Nevada, die unter eklatanten Strahlenschäden zu leiden hatten bzw. leiden. Gleichzeitig regte sich bereits damals der Widerstand gegen die atomare Bewaffnung: Ostermärsche wurden veranstaltet, die die Friedensbewegung in den siebziger Jahren als Aktionsform wiederaufnahm; in den Aktionen gegen amerikanische Atomtests sind auch die Wurzeln der Umweltorganisation Greenpeace zu verorten. Die Proteste gegen Atomkraft bilden den Ursprung der Ökologiebewegung in Europa, worauf die Erzählerin sich später explizit bezieht:
Wann hatte ich es das erste Mal mit ihren Widersachern zu tun? (…) Es war Anfang der siebziger Jahre, das Kraftwerk hieß Wyhl, es ist nicht gebaut worden. Die jungen Leute, die uns die ersten Materialien über Gefahren bei der ‘friedlichen’ Ausnutzung der Atomenergie in die Hand drückten, wurden verlacht, reglementiert, gemaßregelt.14
So ist in dieser Überblendung neben der Konnotation der ‘Gefährdung’ gleichsam die des ‘Widerstands’ enthalten.
Des weiteren wird in dieser Textstelle die ‘Wolke’ als Warnzeichen für die Bedrohung Europas15 zwar noch nicht explizit eingeführt, aber durch eben die Anspielungen auf das atomare Fallout nach den Tests im Bildarchiv aktiviert/aufgerufen. In demselben Bildbereich bewegen sich die nächsten Sätze, in denen die Erzählerin feststellt, daß die Experten “jetzt wie Pilze aus der Erde schießen”, Pilze dagegen “ungenießbar für diese Saison!”16 seien, und die damit das Bild des Atompilzes evozieren. Am Ende des Textes verbindet sie die beiden Bilder ganz explizit:
An jenem Abend haben sie auf mehreren Fernsehkanälen zum ersten Mal den Umriß des verunglückten Reaktors gezeigt, ein Schema, das sich uns mit der Zeit ebenso einprägen müßte wie das Symbol des Atompilzes.17
Unmittelbar nach den Pilz-Assoziationen kommt der Erzählerin der Beginn des Gedichts Die Forelle von Christian Friedrich Daniel Schubart (“In einem Bächlein helle.”18) ins Bewußtsein, der dann sofort das neuerlernte Wissen abruft, daß auch die Forelle “Speicherfisch für radioaktive Zerfallsprodukte”19 sein kann. Im oben skizzierten Kontext der ‘japanischen Fischer’ schlägt das Bild der Forelle eine Brücke von den kontaminierten Thunfischen an Bord der Fukuryu Maru zu den jetzt auch in Europa radioaktiv verstrahlten Fischen, aktiviert im Gedächtnis somit eben nicht nur die vergangenen Schreckensmeldungen aus Fernost, sondern zeigt neben der Verstrahlung der Lebenswelt, in der qua Radioaktivität aus gesunden Lebensmitteln bedrohliche werden, auch die Kontamination der Symbolwelt und der Erinnerungsfiguren, eine Art ‘Vergiftung’ der Semantik, auf: nicht nur die Pilze und Forellen werden ungenießbar, sondern die Begriffe selbst markieren in ihrer Ambivalenz, in ihrer Oszillation, das Ausmaß der Schäden. Der ungiftige Speisepilz als Lebensmittel oszilliert semantisch – wie in einem Vexierbild – mit der gefahrvollen, bedrohlichen Aura des Atompilzes wie auch des kontaminierten Speisepilzes.
Von ähnlicher Ambivalenz zeugt auch der Begriff der ‘Wolke’, der “zu Großmutters Zeiten” nichts anderes konnotierte “als kondensierten Wasserdampf. Weiß womöglich, ein mehr oder weniger schön geformtes, die Phantasie anregendes Gebilde am Himmel”20. Die durch das Unglück in Tschernobyl verursachte radioaktive Wolke ist dagegen weder harmlos noch sichtbar.
Eine unsichtbare Wolke von ganz anderer Substanz hatte es übernommen, unsere Gefühle – ganz andere Gefühle – auf sich zu ziehen. Und sie hat (…) die weiße Wolke der Poesie ins Archiv gestoßen. Sie hat, von heut auf morgen, diesen und beinah jeden Zauber gebrochen.21
Auch scheint der Begriff ‘Wolke’ deswegen eigentlich unangemessen.
Daß wir es ‘Wolke’ nennen, ist ja nur ein Zeichen, unseres Unvermögens, mit den Fortschritten der Wissenschaft sprachlich Schritt zu halten. Unser Erkennungsapparat (…) wählt zur Benennung eines neuen Phänomens gewöhnlich diejenige Bezeichnung aus, welche die größte Anzahl an Merkmalsübereinstimmungen mit denjenigen Erscheinungsformen der Materie aufweist, die er seit alters her kennt.22
Wenn die Erzählerin berichtet, der Himmel sei “an jenem Tag wolkenlos gewesen”23, wird die Ungewißheit, die ein ‘strahlend’ blauer Himmel in jenen Tagen hervorzurufen vermochte, evoziert, das Hin- und Hergerissensein zwischen der ästhetischen Qualität des sonnigen Frühlingstages und dem Wissen um die sinnlich nicht faßbare Bedrohung, die in der Erzählerin “das Verlangen nach einem eingearbeiteten Geigerzähler”24 zu wecken vermag. Wieder als Gedankenfetzen schiebt sich eine weitere Gedichtzeile von Brecht in ihr Bewußtsein: “O Himmel, strahlender Azur”25, der Beginn des Refrains der Ballade von den Seeräubern, markiert hier genau diesen Bedeutungsumschlag, den ein ‘blauer Himmel’ durch die radioaktive Gefahr durchläuft. Doch auch in Brechts Seeräuberballade ist die Bedrohung hinter der sonnigen Kulisse präsent, wenn auch, wie gleichfalls in Schubarts Gedicht, in anderem Kontext: “Da nimmt der Wind sie in die Arme und tötet sie vor Mitternacht.” Vor dem Hintergrund der bedrohenden Radioaktivität gewinnt auch diese Zeile eine weitere Bedeutungsschicht, die sie in den Zusammenhang der Erinnerung an die japanischen Fischer stellt.
So läßt sich zusammenfassend das Bildinventar der erinnerten Geschichten, die durch die Wolke evoziert wurden, auf den ‘strahlend’ blauen Himmel, Fische, Wind, Tod, (Atom-)Pilz reduzieren.
Bei dem Gedanken, daß Tschernobyl in der Nähe von Kiew liegt, erinnert sich die Erzählerin an ihren lange zurückliegenden Besuch in jener Stadt, Bilder, die in ihr lange verblaßt und von “ähnlichen Bildern aus anderen Städten” überlagert sind. “Verblaßt auch die Erinnerung an eine Liebe, die damals frisch gewesen sein muß.”26 Damit knüpft die Erzählerin indirekt noch einmal an Brechts Erinnerung an die Marie A. an: “Und fragst du mich, was mit der Liebe sei? / So sag ich dir: Ich kann mich nicht erinnern. / (…) Und auch den Kuß, ich hätt ihn längst vergessen / Wenn nicht die Wolke da gewesen wär”27. Neben all ihrer Angst und allem Entsetzen wurde durch die Wolke auch ihre Erinnerung an eine längst vergangene Liebe reaktiviert.
Geschwisterliebe? oder Die Suche nach den Ursprüngen der Zerstörung
In der ‘Gelenkstelle’ zwischen den beiden Textteilen wird gleichzeitig mit der Wolke eine weitere Bildebene eingeführt: das ‘brother’s keeper’-Thema, das im zweiten Teil anhand des Grimmschen Märchens von Brüderchen und Schwesterchen durchkonjugiert wird:
Eine Melodie ist mir dabei in den Kopf gekommen, zu der sich nach einiger Zeit drei Worte einstellten: ‘…die ich lange sah…’ Ich konnte den ganzen Text nicht finden, weil sich immer wieder eine Frage in den Vordergrund meiner Gedanken schob: Wo ist dein Bruder Abel? – Wer fragt? Wer stellt sich, auf meiner inneren Bühne, dieser (nicht: ‘diese’!, S.J.) Leib- und Lebensfrage? Wer wagt die Gegenfrage: Soll ich meines Bruders Hüter sein?28
Die Erzählerin versucht im ersten Teil, mit der Bedrohung durch die Wolke umzugehen, ihre Angst zu bewältigen und in tradierten Erinnerungsfiguren des kulturellen Gedächtnisses Trost und Halt zu finden. Das gelingt ihr nur zum Teil, weil auch diese Erinnerungsfiguren von der gegenwärtigen Bedrohung nicht unberührt sind, so daß sie zwischen der alten und der neuen Lesart gleichsam oszillieren. Während die Erzählerin mit der Schadenserhebung beschäftigt ist, drängt sich die Frage nach der Mitverantwortung, der Mitschuld in ihr Bewußtsein. Diese kristallisiert sich im zweiten Teil in der Erinnerungsfigur des Brudermordes, in der Geschichte von Kain und Abel, in der gleichzeitig mit dem Delikt auch das positive Gegenmodell der Geschwisterliebe – auch eine längst vergessene Liebe? – aufleuchtet. Die Erzählerin realisiert, daß für Kain die Vorstellung, der Hüter seines Bruders zu sein, neu sei.
In ihrem Bemühen, ihrem eigenen Bruder qua gedanklicher Unterstützung durch die schwere Hirnoperation zu helfen, lebt die Erzählerin bereits dieses Gegenmodell, macht es aber noch an einer anderen Erinnerungsfigur fest: Während sie durch den Wald radelt und über das Waldsterben und die Frage reflektiert, ob es zur Atomenergie nur die Alternative der Stromerzeugung durch Braunkohlekraftwerke gibt29, kommt ihr – vom sterbenden Wald zum deutschen Märchenwald ist es, wie im Kapitel über die Geschichte der Umweltliteratur dargestellt wurde, in den späten achtziger Jahren nicht weit – das Grimmsche Märchen von Brüderchen und Schwesterchen in den Sinn. Anspielend auf den späteren Verlust des olfaktorischen Sinns durch die Operation ihres Bruders erzählt sie ihm:
Ich kann nur hoffen, daß der Duft des Waldes im Frühling fest in deiner Erinnerung verankert ist. Was macht mein Kind / was macht mein Reh… Ich bin noch ein Stück durch den Wald gegangen und habe nach Anzeichen von Krankheiten an den Bäumen gesucht (…).30
Wie bereits bei der Brechtschen Wolke und Kain und Abel schiebt sich auch hier wieder ein Erinnerungsfetzen in den inneren Monolog, dem sie in der Folge nachspürt, bis sie ihn zuordnen kann. “Endlich hat mein Gedächtnis herausgefunden, wo dieser Spruch vorkommt, wer ihn sagt und wie diese ganze Erinnerung mit dem Grundmuster dieses Tages zusammenhing.”31 Quelle des ‘Spruchs’ ist das Märchen von Brüderchen und Schwesterchen, in welchem die Schwester die Warnungen der Brunnen vernimmt und ihren Bruder vom Trinken der gefährlichen32 – nicht verseuchten, sondern verzauberten – Gewässer abzuhalten versucht, was ihr jedoch nur zweimal gelingt. Immerhin verhindert sie dadurch Brüderchens Verwandlung in einen Tiger oder Wolf, was für sie eine konkrete Lebensgefahr bedeutet hätte. Der Bruder, der seinem Durst an der dritten Quelle nicht mehr widerstehen kann, wird in ein Reh verwandelt. Die Schwester versorgt das Reh liebevoll, pflegt seine Wunden und vergißt es auch nicht, als sie den König heiratet. Als Königin fällt sie einer tödlichen Intrige ihrer Stiefmutter zum Opfer, doch auch das hindert sie nicht, sich – als Geist – um ihren Nachwuchs und das Reh zu kümmern, was letztendlich zu ihrer Erlösung und der Bestrafung der Intrigantin führt. Diese Erinnerung wird der Geschichte von Kain und Abel von der Erzählerin komplementär gegenübergestellt.
Doch auch im Rahmen dieser Erinnerungsfigur taucht im Laufe der Erzählung das Thema der Schuld als Erinnerung an eine eigene Schuld auf:
Die große Schwester renkt dem kleineren Bruder den Arm aus. Unaussprechbare Schande, daß die Kinder einer Mutter sich nicht innig lieben / sollen. (…) Die Ur-Schuld. Das Ur-Verbrechen, das man nur am Bruder, an der Schwester begehen kann. Mutter und Vater, um deren Liebe der Kampf eigentlich entbrennt, ziehen sich hinter ein noch dichteres Tabu zurück.33
Von dieser ‘unaussprechlichen Ur-Schuld’ aus gelangen ihre Gedanken immer unerbittlicher zu der Frage nach ihrer eigenen Mitverantwortung, was deutlich den ersten Teil (Schadensermittlung) vom zweiten thematisch abgrenzt. Ihre Antwort ist keine simple Gleichung im Sinne einer Schwarz-weiß-Zuordnung von Männern, Technik, Aggression, Forscherdrang, Zerstörung auf der einen und Frauen, Behüten, Sorgen, Bewahren und Ernähren auf der anderen Seite, selbst wenn der erste Teil solche Lesarten anzudeuten scheint.34
Auch in ihr selbst, das liest sie aus ihrer individuellen Erinnerungsfigur jener Ur-Schuld, gibt es Aggressionen, gibt es Mechanismen, die Zerstörung ermöglichen. Den Ort jener unerwünschten Emotionen vergleicht sie mit einem Krater als Endlagerstätte für radioaktiven Abfall, dabei auf eine andere Textstelle anspielend, an der sie den geschmolzenen Reaktorkern als den “glühenden Kern unserer verbotenen Wünsche”35 bezeichnet. Jenen Krater bezeichnet sie in Anspruchnahme je einer physiologischen und einer literarischen Anspielung als ‘blinden Fleck’ und ‘Herz der Finsternis’ .
Stoßen die Leidenschaften, die zu den zähen, erbitterten Kämpfen mit dem Bruder geführt hatten, in jenen Krater in uns, der sich als Endlagerungsstätte für untragbare radioaktive Gefühle, frühzeitig genug gebildet hat. (…) Der blinde Fleck. Das Herz der Finsternis. (…) Wo, habe ich gedacht, müßte der blinde Fleck speziell bei mir, in meinem Gehirn liegen – falls er doch lokalisierbar sein sollte. Die Sprache.36
Der blinde Fleck37 – eine notwendige Lücke in unserem Gesichtsfeld, damit Sehen überhaupt möglich ist. Das Herz der Finsternis – ein im anglophonen Bereich gängiger Topos, der sich auf Joseph Conrads gleichnamige Erzählung über die kolonialen Greueltaten der Belgier im Kongo bezieht, auf den Verlust kulturell verankerter Werte wie der Achtung der Menschenwürde durch die Gier nach Geld und Anerkennung.
Mein Gehirn, über das Normalmaß hinaus empfänglich für Sprache, muß gerade über dieses Medium auf die Werte dieser Kultur programmiert sein. (…) / An irgendeiner Stelle, oder an vielen Stellen, haben wir jene Wildheit, Unvernunft, Tierischkeit in die Kultur hineinnehmen müssen, die doch gerade geschaffen wurde, das Ungezähmte zu bändigen.38
Wie an so vielen anderen Stellen im Störfall sind alte Überzeugungen ins Wanken geraten39. Das, was bisher der Garant für ein Leben jenseits blinder Emotionalität, Aggression und Zerstörungswut galt, nämlich die durch Sprache (und Erinnerungsfiguren)40 vermittelte Kultur, schien gleichfalls ihre Kehrseite offenbart zu haben. Jetzt erscheint es denkbar, daß jene beängstigenden Faktoren nichts Exterritoriales der Kultur, kein Fremdes und Bösartiges, eigentlich nicht Dazugehörendes, Eingedrungenes darstellen, sondern integraler Bestandteil eben jener Kultur sind, die auf der anderen Seite den Bestand der Menschlichkeit garantiert.
Die Sprache also. Inwiefern läge dort möglicherweise Mitschuld?
Mein Schlaf hat unruhig an der Frage weitergearbeitet, wo meine eigene Verantwortlichkeit liege, den blinden Fleck umkreisend, den meine Wörter, so sehr sie sich anstrengen mögen, nicht kennen wollen.41
Im Zusammenhang mit ihrer Hochachtung vor Joseph Conrad, der “sich, nicht nur in Gedanken, mitten hineinbegeben” hat “in den blinden Fleck jener Kultur, der auch er angehörte” 42, steht ihre Frage, ob sie nicht möglicherweise zu vieles verschwiegen habe, manche Aspekte gar nicht so genau habe wahrnehmen, manche Zeichen nicht habe lesen wollen.
Ich habe auch Bilder ablaufen sehen, die ich nicht zu beschreiben gedenke. Dabei habe ich mich fragen müssen, ob ich nicht seit langem schon diejenigen Bilder, die mir auftauchten, greller und gegen mich selbst rücksichtsloser hätte beschreiben müssen (…).43
Immer wieder hat sie in den zitierten Fragestellungen auf der Suche nach ihrem eigenen ‘blinden Fleck’ das Gehirn ins Spiel gebracht, hat die Abgründe in sich unter ihrer Schädeldecke lokalisiert44, so daß es nicht weiter verwundert, wenn sie sich – zumal im Zusammenhang mit der Hirnoperation, der sich ihr Bruder unterziehen muß – gedanklich der Neurophysiologie zuwendet. Als erstes bestaunt sie
jene ‘Synapsen’ benannten Verbindungen zwischen den Neuronen (…), deren Menge größer ist als die Gesamtzahl der Elementarteilchen im Universum. Dies ist, Bruderherz, eine der wenigen Zahlen, die mich erregen können.45
Sodann rekurriert sie auf die in den achtziger Jahren gängige Lesart von den drei Gehirnen, deren eines das limbische System als der für Aggressionen zuständige Bereich sei:
Da die Evolution (…) das einmal durch Selektion Geschaffene nicht vernichtet, sondern weiterverwendet, hat sie uns, als eines unserer drei Gehirne, / das Gehirn von Schlange und Krokodil belassen. Die rituellen und hierarchischen Aspekte unseres Lebens seien stark von diesem R-Komplex beeinflußt, der in gewisser Weise noch Dinosaurier-Funktionen in unserem Gehirn erfüllen soll: aggressives Verhalten, Revierverhalten, die Entwicklung sozialer Rangordnungen seien von ihm mitgesteuert… 46
Diese Sicht findet sich dann auch in der Beschreibung menschlicher Aggression wieder: “Die Echse in uns schlägt mit dem Schwanz. Das wilde Tier in uns brüllt. Verzerrten Gesichts stürzen wir uns auf den Bruder und bringen ihn um.”47 An anderer Stelle benennt sie auch explizit das limbische System als ‘Träger’ des phylogenetischen Erbes.48
Der blinde Fleck, das Herz der Finsternis, wären demnach einerseits die Tendenz, bestimmte Aspekte und Bilder zu verschweigen, also die Selbstzensur, und andererseits das limbische System als Sitz der Emotionen und auch der Aggression in jedem Menschen, die durch ihre Beteiligung an der Speicherung kultureller Werte integraler Bestandteil jeder Kultur sind.49
Faust oder die Gretchenfrage nach der Wissenschaft
Mit einem Zitat aus einem – neben Erinnerung an die Marie A. und der Ballade von den Seeräubern – weiteren, nämlich dem 1940 betitelten Gedicht von Brecht wird die Verbindung zu der Erinnerungsfigur ‘Faust’ und der Frage nach der Verantwortlichkeit von Wissenschaftlern geknüpft:
‘… daß die Mütter entgeistert den Himmel durchforschen nach den Erfindungen der Gelehrten…’ Nun ist es soweit. Aber da können sie lange suchen, sie sehen nichts. Allein der Verdacht, der in ihnen bohrt, macht es, daß die unschuldige Himmelsfarbe diesen giftigen Ton annimmt. Der bösartige Himmel.50
Der Verdacht macht das Himmelsblau ‘giftig’, da die wirkliche Bedrohung unsichtbar ist. Diesen Aspekt haben wir bereits in den Überlegungen zum Stichwort ‘Wolke’ durchkonjugiert: Der blaue Himmel hat seine Unschuld verloren, er oszilliert gleichsam zwischen der alten und der neuen Lesart.
Was die Mütter 1940 bedrohte, waren Militärflugzeuge. Auch die Erzählerin ist ihre alte Kindheitsangst fast 50 Jahre danach noch nicht losgeworden. Als sie bei ihrer Radtour von einem Düsenjäger überflogen wird, flieht sie erschreckt in den Wald. Sie weiß, daß diese Angst aktuell unbegründet ist, ist ihr aber dennoch völlig ausgeliefert:
Ich habe mich längst damit abgefunden, daß von den letzten Kriegstagen her die Angst vor Flugzeugen, die mit Maschinengewehrgarben direkt auf mich niederstoßen, mich nie verlassen wird (…).51
Die Erfindungen der Wissenschaftler, die die Mütter 1986 fürchten lassen, sind zwar nicht wirklich neu, als in Mitteleuropa aktuell gegebene und auch bewußte52 Gefahren jedoch bisher unbekannt.
So setzen sich die Mütter vors Radio und bemühen sich, die neuen Wörter zu lernen. Becquerel. Erläuterungen dazu – von Wissenschaftlern, die, von keiner Ehrfurcht gehemmt, was die Natur im Innersten zusammenhält, nicht nur erkennen, auch verwerten wollen. Halbwertszeit, lernen die Mütter heute. Jod 131. Caesium. Erläuterungen dazu von anderen Wissenschaftlern, die, was die ersten sagen, bestreiten; die wütend und hilflos sind.53
Mit dem die unkritischen Wissenschaftler charakterisierenden Relativsatz über den Mangel an Ehrfurcht an dem, was die Welt im Innersten zusammenhält, wird an dieser Stelle bereits auf das Faust-Thema gedeutet.
In einem Artikel liest die Erzählerin von einem modernen ‘Faust’, der in einem militärischen Forschungslabor (“Sternenkriegslaboratorium”54) zur Mitarbeit an der Entwicklung der SDI-Technologie gezwungen wird. Seine Freundin schließt sich Demonstrationen vor den Toren des Labors an. Die Erzählerin ist von dieser Umkehrung des alten Stoffs – der Aktualisierung der literarisch kreierten Erinnerungsfigur – fasziniert:
Ein Faust, der nicht Wissen, sondern Ruhm gewinnen will. Ein Gretchen, das, anstatt an ihm zugrunde zu gehen, ihn erlösen will… Über die neue Faust-Gretchen-Variante würde ich später nachdenken.55
Durch die Verweise auf Joseph Conrads Roman Herz der Finsternis werden hier die möglichen Gründe für die scheinbare Gewissenlosigkeit der Wissenschaftler angedeutet: Die Erzählerin berichtet, daß sie in Conrads Text die Worte Haß oder Liebe kaum findet, stattdessen “Gier, Gier, Gier”56. Im vorliegenden Kontext wären dies die Gier nach Geld, die Gier nach Ruhm und die Neugier – die “Faszination durch ein technisches Problem”.
Monate später erfährt die Erzählerin, daß genau dieser Wissenschaftler seinen Vertrag mit dem “Kernwaffenforschungszentrum” aufgelöst haben soll, und reagiert völlig euphorisch: “Einer hat es geschafft. Nichts ist endgültig. Ich muß erneut über die Schicksale und Entscheidungen des modernen Faust nachdenken.” 57 Einem ist es gelungen, aus dem Teufelspakt mit der gewissenlosen Forschung58 auszusteigen, durch die Beharrlichkeit seiner Partnerin womöglich.
Der Ausstieg des ‘neuen’ Faust aus der Forschung, der hier zunächst als Modell für Hoffnung durchscheint, ist nicht mehr als ein Hoffnungsfünkchen, eher ein Wetterleuchten. “Wir leben in diesem Aufblitzen – mag es währen, solange die Erde rollt.”59 Mit diesem auf Conrads Herz der Finsternis bezogenen Satz könnte der Text enden, doch schieben sich aus ihren Träumen heraus Bilder des ‘Grauens’, des Horrors in den Schlußteil, der gleichsam als Film-Abspann die Hauptmotive wiederholt: Das Bild einer Infusionsvorrichtung, das sie beim Einschlafen vor Augen hat, wird durch einen Spruch aus einem motivisch Brüderchen und Schwesterchen ähnelnden Grimmschen Märchen abgelöst, nämlich Die drei Männlein im Walde. In der Nacht wird sie durch eine Stimme geweckt, die von weither ruft: “A faultless monster!”.60 Das Traumbild, aus dem sie gerissen wird, bildet das Schlußbild ihrer Nachrichten eines Tages:
Soeben war in meinem Traum ein riesengroßer, naher, ekelhaft in Zersetzung übergegangener Mond sehr schnell hinter dem Horizont versunken. Am nachtdunklen Himmel war ein großes Bild meiner toten Mutter befestigt gewesen. Ich schrie. Wie schwer, Bruder, würde es sein, von dieser Erde Abschied zu nehmen.61
Jeder dieser drei Sätze bewegt sich im Bildraum der Vernichtung der Erde. Ein zerstörter und aus seiner gewohnten Bahn geworfener Mond weist genauso auf eine irdische Katastrophe wie der nachtdunkle Himmel, an dem ein Bild der ‘toten Mutter’ – (Erde), fügt sich in Gedanken hinzu – befestigt ist, ein Erinnerungsbild, Abbild, Platzhalter, das auf die Abwesenheit des Referenten deutet. Der Schmerz um den Abschied von der Erde ist zweiseitig lesbar: im eigenen Tode bzw. durch den Tod der Natur (Merchant), mit dem der Tod der Menschheit jedoch unausweichlich verquickt ist.
Der Verlust der Zukunft und die Aufkündigung des Gehorsams
Blicken wir vom Ende des Textes her noch einmal auf dessen Beginn. Die Erzählerin verwendet in den einleitenden Sätzen das Futur II, die vollendete Zukunft. “Eines Tages, über den ich in der Gegenwartsform nicht schreiben kann, werden die Kirschbäume aufgeblüht gewesen sein. Ich werde vermieden haben, zu denken: ‘explodiert’.”62 Mit den folgenden Sätzen werden verschiedene Zeiten und Modi ausprobiert, übergestreift und wieder weggelegt, Perfekt, Präteritum, Präsens, Konjunktiv II, wie Kleidungsstücke, die man bei Frühlingsbeginn anprobiert – doch zu diesem Frühling scheint keines recht zu passen. Sie entscheidet sich dann für das Perfekt, die vollendete Gegenwart, und beendet den Absatz mit den Zeilen:
Und jener Instanz, die von früh auf begonnen hat, mich aus einer sehr fernen Zukunft aufmerksam zu betrachten – ein Blick, nichts weiter -, habe ich zu verstehen gegeben, daß ich mich von nun an an nichts mehr gebunden fühlen würde. (…) Jenes Ziel in einer sehr fernen Zukunft, auf das sich bis jetzt alle Linien zubewegt hatten, war weggesprengt worden, gemeinsam mit dem spaltbaren Material in einem Reaktorgehäuse ist es dabeigewesen zu verglühen.63
Es sind nicht nur alte Sicherheiten ins Wanken geraten, es ist nicht lediglich Vertrautes durch den neuen Blick plötzlich ‘fratzenhaft’64 geworden, sondern die bisherigen Gewißheiten und Ziele wurden gleichsam weggesprengt. Die Zukunft ist zerstört und mit ihr auch der Glauben an jegliche Utopie, die bislang ihr Handeln leitete. Eine neue Situation ist durch den GAU entstanden, die scharf die bisherigen Generationen von den zukünftigen trennt. Die Erzählerin befindet sich genau in diesem Riß:
Ich habe begriffen, daß irgendwann – vielleicht nicht auf einmal, vielleicht endgültig erst heute – die Taue gerissen sind, die unser Lebensnetz an gewissen Halterungen befestigt hatten. Taue, die man nicht nur Sicherungen, auch Fesseln nennen konnte. Die vor uns würden für immer von ihnen gehalten und an sie gebunden sein; die nach uns haben die Taue gekappt und sehen sich, losgelöst, frei, zu tun und zu lassen, was ihnen beliebt. Wir würden uns nie mehr auf jene Bindungen verlassen können, sie aber auch, und sei es als Sehnsucht nach ihnen, nie ganz loswerden.65
Wie stark sie die Sehnsucht nach diesem Bezugspunkt empfindet, drückt sich bereits im ersten Textteil aus. “Ach. Wie freudig würde ich mich weiter auf ein Ziel zubewegen, zu dem der Abstand sich nie verringern würde. Wie aber könnte ich gehen ohne Ziel?”66
Dennoch hat die Bedrohung durch die Radioaktivität noch mehr in ihr verändert, etwas Neues in Gang gesetzt: Als ihre Tochter am Telefon berichtet, sie gebe ihren Kindern keine frische Milch mehr, hallt ein weiterer Gedankenfetzen durch das Bewußtsein der Erzählerin, unkommentiert: “O Milch unfrommer Denkart, bittrer Trank …”67 Wieder eine Gedichtzeile, wieder Stephan Hermlin:
Die Milch // Wissenschaftler stellten fest, daß Strontium 90 über die aus radioaktiven Weiden stammende Milch in den menschlichen Organismus gelangt und Leukämie hervorruft. // Ein seltsam Gras wächst auf im grünen Feld. / Ein neuer Regen hat es da benetzt. / Es weiden Herden unterm Wolkenzelt. / Was ist euch, daß ihr euch darob entsetzt? // Hier wächst die Milch heran, die Kinder nährt. / Sie sind kaum da. Doch ihre Zeit ist um. / Einst mütterliche Milch, die sie versehrt, / O du, tückisch durchblüht von Strontium… // Wer mit den Seuchen da zu Rate saß, / Ehe mit seiner Raubwelt er versank, / Plante Mißwuchs und Tod in einem Glas // Voll weißer Milch. Die macht Gesunde krank. / Wer hat in Gift gekehrt dich? Wer? Und was? / O Milch unfrommer Denkart, bittrer Trank…68
In der letzten, von der Erzählerin erinnerten Textzeile, liegt eine Anspielung auf Schillers Wilhelm Tell verborgen, weshalb ich diese Allusion nicht innerhalb der Motivgeschichte der unbeabsichtigt vergifteten Lebensmittel präsentiere, sondern in diesem letzten Teil meiner Analyse. Der Text bei Schiller lautet:
Meine Gedanken waren rein von Mord. / Du hast aus meinem Frieden mich heraus / Geschreckt, in gärend Drachengift hast du / Die Milch der frommen Denkart mir verwandelt, / Zum Ungeheuren hast du mich gewöhnt (IV,3)
Wenn wir dazu den Kommentar der Erzählerin im Störfall in Beziehung setzen, in dem sie davon spricht, ebenfalls erlebt zu haben, “daß es die Freiheit gibt, jeglichen Gehorsam aufzukündigen”69, bekommt der Text eine neue, ungeahnte Schärfe. Die Botschaft, die durch diese Bezüge evoziert wird, lautete dann ungefähr: Eine Obrigkeit, die wissentlich das Leben der Bevölkerung, insbesondere der Kinder (und in diesem Falle sogar der nachfolgenden Generationen) gefährdet, hat ihren Anspruch auf Gehorsam verspielt.
“… das Ungesagte hörbar machen”
Wie läßt sich vor dem Hintergrund der bisherigen Befunde jener Satz lesen, den ich als Eingangsmotto über dieses Kapitel gestellt habe und in dem die Erzählerin den Wunsch äußert, so schreiben zu können, wie das Gehirn arbeitet?70
In doppeltem Sinne ‘schreibt sie, wie das Gehirn funktioniert’: Sie arbeitet einerseits mit assoziativen Verknüpfungen, läßt sich von Erinnerungsfiguren leiten, beschreibt diese Bilder, die in ihr entstehen sowie die durch jene evozierten Geschichten, beschreibt andererseits eben auch, wie das Gehirn funktioniert. Damit verquickt sie zum einen die Textsorten Tagebuch-Prosa und Essay, wird also beiden Hirn-Hemisphären gerecht – “der intuitiven rechten Hemisphäre”71 wie auch der linken, rationalen. Darüber hinaus versucht sie, die Bedrohung nicht dem Vergessen anheimzugeben, sondern das Bewußtsein davon so zu verankern, wie in ihr die Angst vor tieffliegenden Kampfflugzeugen aus Kindertagen verankert ist: unverdrängbar.
Doch könnte es noch einen weiteren Aspekt geben, der ihre Suche nach einem ‘hirngemäßen’ Schreiben motiviert. An der zitierten Stelle spricht sie im weiteren davon, sich mit dem Verlust an “Genauigkeit, Schärfe und an einer Reihe von Qualitäten, die ich nicht benennen kann”, nicht abfinden zu wollen. Auf der Suche danach, inwieweit sie durch ihre Sprache eine Art Mitschuld tragen könne, war bereits die Rede davon, daß sie möglicherweise zu viel verschwiegen habe, Zusammenhänge nicht genau genug benannt habe.
In einem Gespräch über die Mitverantwortung und die Frage, ob man sich dem ‘blinden Fleck’ stellen sollte, äußert ihre Tochter einen Gedanken, der mir von zentraler Bedeutung zu sein scheint.
(W)arum sollte es nicht eine Chance für eine / ganze Kultur sein, wenn es möglichst viele ihrer Mitglieder wagen können, der eigenen Wahrheit ohne Angst ins Gesicht zu sehen? Was ja hieße, die Bedrohung nicht dem äußeren Feind aufzubürden, sondern sie da zu lassen, wo sie hingehöre, im eigenen Innern.72
Man solle die Bedrohung nicht einem äußeren Feind aufbürden, sondern der eigenen Wahrheit im eigenen Innern ohne Angst ins Gesicht sehen. Da hier von Kulturen und nicht von Individuen die Rede ist, liest sich diese Passage – auf die DDR bezogen – als Plädoyer für einen offenen konstruktiven Umgang mit innenpolitischen Problemen, an dem sich jeder Bürger und jede Bürgerin ohne Angst vor negativen Sanktionen solle beteiligen können. Die unzensierte Wahrheit – nicht nur bezüglich umweltpolitischer Daten – wird hier als Chance für die Kultur extrapoliert, als gesellschaftspolitische Erweiterung des Bachmannschen Diktums ‘Die Wahrheit ist dem Menschen zumutbar’.
Mit dem Eingangszitat über den “Rand der Prosa” klingt ein Schlüsseltext der realsozialistischen Umweltdebatte an, und zwar Hanns Cibulkas Swantow, der einzige literarische Text der DDR, in dem – zumindest im Vorabdruck in der Zeitschrift Neue Deutsche Literatur – von den Strahlungen die Rede ist, die Kernkraftwerke im Normalbetrieb an die Umwelt abgeben.73 Das Parallelzitat lautet:
Genügt es, wenn wir immer nur bis an den Rand des Blattes schreiben? Das weiße Blatt hinter sich lassen, über den Rand hinaus schreiben, auch das Ungesagte hörbar machen. Im Ungesagten vollzieht sich das Schreckliche, das Unerträgliche unserer Zeit.74
Was im Störfall geschieht – und nicht nur an dieser Stelle, sondern im gesamten Text – läßt sich mit genau dieser Formel beschreiben: “Das Ungesagte hörbar machen”. Die Erzählerin präsentiert ein Zitat, einen Gedankenfetzen, oft aus Gedichten oder Liedern, also Texten, die sie als bekannt voraussetzen darf, als gemeinsame Erinnerung einer Erinnerungsgemeinschaft. Danach beginnt ein Prozeß der Mustervervollständigung, den sie selbst in Gang setzt. Analog zur Mustervervollständigung neuronaler Zellverbände, bei dem die Aktivierung eines Teils der Assembly aufgrund der synaptischen Gewichtungen die gesamte Assembly aktiviert, aktiviert bspw. die Zeile “eine Wolke, die ich lange sah” die Erinnerung an das Gedicht Erinnerung an die Marie A. (welches, wie wir oben gesehen haben, genau diese Dynamik des Erinnerns thematisiert).
An der hier betrachteten Stelle liegt der Verweis nur als Allusion, nicht als direktes Zitat vor. Mit ihrer Formulierung “über den Rand der Prosa hinaus” spielt die Erzählerin auf Cibulkas Anspruch, das “weiße Blatt hinter sich (zu) lassen und über den Rand hinaus (zu) schreiben” an und aktiviert den ungeschriebenen, ungesagten Satz: “Auch das Ungesagte hörbar machen. Im Ungesagten vollzieht sich das Schreckliche, das Unerträgliche unserer Zeit.”
Das Ungesagte in beiden Texten ist die von Kernkraftwerken ausgehende Gefährdung der Bevölkerung, sowohl im Normalbetrieb (Swantow) als auch im Katastrophenfall (Störfall). Genauso ‘schrecklich und unerträglich’ wie die verschwiegenen Tatsachen ist jedoch das Verschweigen dieser Tatsachen selbst. Durch das Ansprechen der Tatsache des Verschweigens wird in beiden Texten die Kluft überbrückt, die sich aufgrund der Zensur (euphemistisch: der aufwendigen Druckgenehmigungsverfahren) zwischen den Alternativen des Schweigens oder der Nichtveröffentlichung des Textes auftat. Somit ist in diesem Spiel der Verweisungen und Mustervervollständigung von Erinnerungen, Texten und Kontexten beides angeprangert: die “sogenannte friedliche Nutzung der Kernenergie”75 wie auch die Informationspolitik76, die nicht nur angesichts der Reaktorkatastrophe in der Ukraine eine Politik des Verschweigens darstellt. Das Ungesagte wurde hörbar gemacht und dadurch zusätzlich der Finger auf die Wunder der Zensur gelegt.
Daneben betont der Begriff des ‘blinden Flecks’, 1979 durch Kunert (in seiner Debatte mit Girnus um die Symmetrie von Umweltgefährdungen) in den Umweltdiskurs der DDR eingeführt, noch einen anderen Aspekt: Neben den aus politischen Gründen verschwiegenen Gefahren rückt zusätzlich die Dimension der nicht ahnbaren Gefahren ins Blickfeld, die in Kunerts Text bspw. die “anfänglich immer als absolut harmlos postulierten Erzeugnisse” der ‘praktisch angewandten Chemie’ bergen.77
In diesem Aufsatz warnte Kunert überdies deutlich vor den Gefahren der Atomkraft: “Dabei klammere ich hier das Problem Atomenergie ganz aus, deren technische Nutzung, solange Kernfusion im Stadium der Theorie verharrt, niemals ‘sauber’ werden wird.”78 Wolf bezieht sich mit dem Terminus des ‘blinden Flecks’ also deutlich auf einen weiteren Schlüsseltext der von Literaten geführten Umweltdiskussion in der DDR. Im Zusammenhang der beiden Zitate läßt sich die Atomkraft insofern mit den als fälschlicherweise ungefährlich etikettierten chemischen Erzeugnissen vergleichen, als daß bei dieser Energienutzung ein ungeahntes oder verschwiegenes Gefahrenpotential spätestens nach Tschernobyl zum Vorschein gekommen ist.
Für eine Lesart, die das Ungesagte hörbar macht, spricht auch folgendes Zitat aus Störfall, das aus den harmlosen Alltagsbeschreibungen einen, wenn möglicherweise nicht dauerhaften, so doch gewiß einen ungleich schärferen Text macht.
(I)ch habe an gewisse Dokumente denken müssen, auf de/nen erst unter einer chemischen Behandlung die wahre, die geheime Schrift hervortritt, während der ursprüngliche, absichtlich belanglose Text sich als Vorwand entpuppt. Unter der Bestrahlung habe ich die Schrift auf meinen Seiten verblassen, womöglich schwinden sehen, und ob einst ein dauerhafter Untertext zwischen den Zeilen hervortreten werde, ist noch ungewiß gewesen.79
So konnte die Analyse anhand der im Text enthaltenen Erinnerungsfiguren eine ‘Geheimschrift’ zutage bringen, die vorher unter den scheinbar banalen Beschreibungen des mecklenburgischen Alltags einer Schriftstellerin verborgen lag.
Unter den scheinbar banalen Alltagsbeschreibungen der Erzählerin tritt unter der radioaktiven Bestrahlung ein schärferer Text hervor, der durch Verweisungsbezüge auf den ökologischen Diskurs die Unterlassungssünden der offiziellen Informationspolitik hinsichtlich der Gefahren von Kernkraftwerken kritisiert. Diese Linien wurden aufgrund der Analyse der Erinnerungsfiguren und der Geschichten, die sie aktivieren, in deren jeweiliger Aktualisierung sichtbar.
Der erste Teil widmet sich der Schadensermittlung des Reaktorunglücks. In Analogie zu Brechts Erinnerungen an die Marie A. spürt die Erzählerin entlang des Bildes der ‘Wolke’ die Bedrohung der Lebensgrundlagen und Lebenswelt auf, die die Wolke verursacht und verdeutlicht. Die Radioaktivität läßt jedoch auch die Erinnerungsfiguren nicht unbeschädigt: die semantischen Bezüge oszillieren zwischen der unbeschädigten und der ‘vergifteten’ Bedeutung, wie die Analyse der Schadenserhebung ergeben hat.
Anhand des Märchens von Brüderchen und Schwesterchen sowie der biblischen Geschichte von Kain und Abel stellt sich die Erzählerin der Frage nach der Mitschuld und Mitverantwortung und gelangt so neben dem Aspekt der Aggression in ihr selbst zum Thema der Sprache und der Selbstzensur.
Im Themenkreis um den Faust-Stoff und die Frage nach der Verantwortung der Wissenschaftler entwirft sie eine Neuerzählung des Stoffes (Aktualisierung der Erinnerungsfigur Faust) als mögliches Gegenbild, das angesichts der drohenden Vernichtung der Erde jedoch keinen echten Halt mehr zu geben vermag. In den Bezügen auf Conrads Herz der Finsternis wird als weiterer Faktor für den Mangel an Verantwortlichkeit die Gier benannt: neben der Neugier auch die Gier nach Geld und Ruhm, die ein Forschen unter Absehung von möglichen Konsequenzen zuläßt.
Vor dem Hintergrund dieser Bedrohung und der Möglichkeit des Verlusts der Zukunft kündigt sie jeglichen Gehorsam auf und fordert über die Bezüge auf die für den literarischen ökologischen Diskurs in der DDR zentralen Texte von Cibulka und Kunert/Girnus eine transparente Informationspolitik, insbesondere hinsichtlich der Gefahren der “sogenannten friedlichen Nutzung der Kernenergie”.
3 Gutjahr, Ortrud: ‘Erinnerte Zukunft’. Gedächtnisrekonstruktion und Subjektkonstitution im Werk Christa Wolfs, in: Erinnerte Zukunft. 11 Studien zum Werk Christa Wolfs, hrsg. v. Wolfram Mauser, Würzburg 1985, S. 53-80, S. 54f.
4 Wolf, Christa: Lesen und Schreiben, in: dies.: Fortgesetzter Versuch. Aufsätze, Gespräche, Essays, Leipzig 1985, S. 14
5 Böll, Heinrich: Wo habt ihr bloß gelebt? in: Christa Wolf. Ein Arbeitsbuch, hrsg. v. Angela Drescher, Berlin / Weimar 1989, S. 91-100, S. 92
6 Morgner, Irmtraud: Das heroische Testament. Ein Roman in Fragmenten. Aus nachgelassenen Papieren zusammengestellt, kommentierend begleitet und herausgegeben von Rudolf Bussmann, München 1998, S. 176. Den Hinweis auf diese Stelle verdanke ich Ursula Heukenkamp, Berlin.
7 Horst Nalewski weist in einem Aufsatz darauf hin, inwieweit die Verwendung des Begriffs ‘die Nachricht’ bei Christa Wolf immer auf der Folie von Brechts Gedicht ‘An die Nachgeborenen’ zu lesen ist, in dem es heißt “Der Lachende / Hat die furchtbare Nachricht / Nur noch nicht empfangen”. 1963, in ‘Der geteilte Himmel’ war die ‘Nachricht’ bei Christa Wolf jedoch positiv konnotiert und bezog sich auf die Erdumkreisung Juri Gagarins, so daß durch diese Verklammerung der sowjetischen Raumfahrterfolge mit der sowjetischen Reaktorhavarie in dem Begriff ‘(furchtbare) Nachricht’ gleichzeitig “Sieg und Niederlage technischen Schöpfergeistes, epochaler Fortschritt und säkulare Infragestellung jenes Fortschritts” aufscheinen. (Nalewski, Horst: Ernstfall: Störfall. Woraufhin schreiben? Fragen eines Jahrzehnts, in: Christa Wolf. Ein Arbeitsbuch, a.a.O., S. 270-291, S. 274)
8 In einem Interview behauptete Wolf hingegen: “(…) erst viel später habe ich begriffen, daß Brecht auf mich als Autorin überhaupt keine Einfluß gehabt hat, daß ich mich nie mit ihm auseinandergesetzt habe, weder positiv noch negativ, was ja auch ein Urteil ist.” (Documentation: Christa Wolf (Interviews), in: German Quarterly 57/1, 1984, S. 91-115, S. 102 (zit. nach: Mauser, Wolfram: Vorwort, in: Erinnerte Zukunft, a.a.O., S. 7))
9 Vgl. Haines, Brigid: The reader, the writer, her narrator and their text(s): intertextuality in Christa Wolf’s Störfall, in: Christa Wolf in Perspective, hrsg. v. Ian Wallace, Amsterdam 1994, S. 157-172. “The first half of Störfall contains many of what Genette would call intertextual references proper, i.e. local borrowings incorporated directly into the host text by means of quotation or reasonably clear allusion. They function metonomically, a line conjuring up for the well-read GDR audience (though perhaps not for foreign readers) the whole / work, and they tend to indicate a loss of innocence and occasion a consequent reassessment by the narrator of her literal heritage. (…) A third group (also intertextual references in Genette’s sense) could be termed ‘literary warnings unheeded’: texts from Brecht and Hermlin about the horrors of unchecked technological progress.” (S. 162f.)
10 Wolf, Christa: Störfall. Nachrichten eines Tages, Berlin und Weimar 1987 (zit. Ausgabe: Hamburg 1993), im folgenden zitiert als ‘Störfall’, S. 12
11 Störfall, S. 12. Mit den Stichworten ‘Minimata-Bucht’ (Quecksilber) und ‘Itai-Itai-Krankheit’ (Cadmium) verbindet sich überdies die Erinnerung an frühe Umwelt- und daraus resultierende gravierende Gesundheitsschäden durch industrielle bzw. Bergwerksabwässer, unter denen die japanische Zivilbevölkerung zu leiden hatte.
12 Vgl. Kramer, Fritz: Bikini oder Die Bombardierung der Engel. Auch eine Ethnographie, Frankfurt/M. 1983, S. 65ff.
19 Störfall, S. 12. Auch im Schubart-Gedicht des 18.Jahrhunderts hängt der Tod des Fisches mit einer Trübung jenes ‘hellen Bächleins’ zusammen: die Trübung selbst ist jedoch ungiftig, verschleiert lediglich die von der Angel ausgehende Gefahr, wohingegen jene Trübung im Kontext der aktuellen Umweltverschmutzung dem heutigen Leser noch andere Assoziationen wachruft.
27 Brecht, Bertolt: Werke. Große kommentierte Berliner und Frankfurter Ausgabe, hrsg. v. Werner Hecht, Jan Knopf, Werner Mittenzwei, Klaus-Detlef Müller, Bd. 11, S. 92
29 “Daß wir nur die Wahl haben sollen, mit der Radioaktivität oder mit dem Waldsterben zu leben (…).” (Störfall, S. 107) – im Rahmen der Energiepolitik der DDR, die nach der Ölkrise verstärkt auf die Energiegewinnung aus heimischer (extrem schwefelhaltiger) Braunkohle setzte, eine nachvollziehbare Sicht der Dinge.
32 Man könnte vermuten, daß Christa Wolf im ersten Teil des ‘Störfall’ nebenbei eine Motivgeschichte der unabsichtlich vergifteten Lebensmittel in der deutschen Literatur verfaßt hat.
34 Z.B., wenn die Erzählerin sich fragt, “ob verschiedene Abschnitte unseres Gehirns vielleicht aufeinander einwirken, dergestalt, daß einer Frau, die monatelang ihren Säugling / stillt, eine Hemmung einer bestimmten Hirnpartie verbieten würde, mit Wort und Tat diejenigen neuen Techniken zu unterstützen, die ihre Milch vergiften können.” (Störfall, S. 34f.)
35 “der glühende Kern. Jetzt schüttet der Mensch, zweitausend Kilometer von uns entfernt, mit Beton, Sand und Blei den glühenden Kern unserer verbotenen Wünsche zu.” (Störfall, S. 65)
37 Der Begriff des ‘blinden Flecks’ wurde von Kunert in der erwähnten Debatte um die Symmetrie sozialistischer oder kapitalistischer Industrialisierung resp. deren Umweltfolgen eingeführt: “eine spezielle Eigenschaft des Homo sapiens (…), die man als eine des ‘blinden Fleckes’ bezeichnen könnte.” (Kunert, Günter: Anläßlich Ritsos, Sinn und Form 4/79, S. 852)
39 Gegen Ende des Textes hat die Erzählerin diesen Vorgang in ein anschauliches Bild gefaßt: “Ich habe mich umgedreht und im Gegenlicht, weil die Sonne schon hinter das Dach gerutscht war, das Haus liegen sehen, und sein Gesicht, das mir bis dahin immer freundlich erschienen war, hatte sich zur Fratze verzerrt. (…) Aber vergessen habe ich diesen Augenblick nicht mehr können, auch wenn ich es schon lange gewußt habe, daß jede Haut reißen und aus den Rissen die Ungeheuer quellen können. Daß das Stützwerk hinter den Fassaden von Zeit zu Zeit zusammenzubrechen pflegt; daß ganze Wegstücke unmittelbar vor uns ins Bodenlose zu versinken lieben.” (Störfall, S. 116)
40 Ohne Autorin und Erzählerin gleichsetzen zu wollen, könnte folgendes Zitat aus einem 1968 veröffentlichten Essay Wolfs einen heuristischen Kontext zu der Überlegung zum Zusammenhang von Sprache und qua Kultur vermittelten Werten bilden: “Oft frage ich mich, was eigentlich das Schlimmste verhindert hat, da moralische Instinkte nicht angeboren sind und man uns (die im Nationalsozialismus aufgewachsene Generation, S.J.) um jeden Kontakt mit der Moral einer hochentwickelten Kultur gebracht hat. (…) Woher eigentlich dieses Zurückzucken bei einigen wenigen, scharf in die Erinnerung eingeritzten Gelegenheiten, die ich heute für entscheidend halte? Woher – da doch auch die Umgebung stumm blieb – drei-, viermal diese beunruhigende Warnung von innen her, der man nicht tiefer nachgehen wollte und die sich in zwei Worte fassen ließ: Das nicht! (…) / Vielleicht war da doch ein Grund gelegt mit den Geschichten und Märchen der Kindheit, (…).” Wolf, Christa: Lesen und Schreiben, in: Fortgesetzter Versuch. Aufsätze, Gespräche, Essays, Leipzig 1985, S. 5-39, S. 15f.
44 “Ich fürchte die Abgründe in mir selbst – was heißt: unter meiner Schädeldecke -, aus denen ein solches Un-Wesen aufsteigen könnte” (Störfall, S. 62)
45 Störfall, S. 63. Leider wurde die Quelle für die Information unsauber gelesen: die Menge der möglichen, nicht der tatsächlichen Verbindungen ist mit diesem in der Fachliteratur gängigen Topos gemeint: “Die Anzahl der möglichen Kombinationen von synaptischen Verbindungen zwischen den Neuronen in einem einzelnen menschlichen Gehirn ist größer als die Gesamtzahl der Atome im ganzen bekannten Universum.” (Thompson, Richard F.: Das Gehirn. Von der Nervenzelle zur Verhaltenssteuerung, Heidelberg 1990 (Original 1985), S. 10) Zu diesem Band gibt es im ‘Störfall’ viele Parallelstellen, die ich hier in den Fußnoten anführe.
46 Störfall, S. 77f. Die Parallelstellen stammen ebenfalls beide aus Thompson, a.a.O.: “Die Evolution pflegt konservativ zu sein: Was einmal entwickelt ist, wird weiter verwendet. Die allgemeine Struktur des menschlichen Gehirns ist nur vor dem Hintergrund der Evolution verständlich.” (S. 17) und: “In der Evolution entwickelte sich das limbische System als erster Teil des Vorderhirns; bei Krokodilen etwa ist heute praktisch das gesamte Vorderhirn ‘limbisch’. (…) Bei so relativ einfachen Wirbeltieren wie dem Krokodil liegt die Hauptaufgabe des limbischen Vorderhirns im Geruchssinn (…). Als sich das limbische Vorderhirn entwickelte, diente es zunächst dazu, eine präzise Auswertung von Geruchsreizen und angemessenen Reaktionen auf solche Reize zu ermöglichen: Annäherung, Angriff, Paarung oder Flucht.” (S. 27)
48 Im folgenden Zitat macht die Erzählerin zwar scheinbar aus Krokodilen Säugetiere, meint damit aber, sofern kein Übertragungsfehler unterstellt wird, der aus ‘Saurier’ ‘Säugetier’ gemacht hätte – vermutlich eben jene ‘primitiven’ Anteile im rezenten menschlichen Hirn: “unser zweites Gehirn, das Säugetier in uns, das limbische System, dessen Bestandteile der olfaktorische Cortex und die Hypophyse sind.” (Störfall, S. 78, Hervorhebung von mir, S.J.). Zu den Zusammenhängen möchte ich den Kommentar von Roth zitieren: “Diese vegetativ-emotionalen Funktionen verleiteten in der Vergangenheit Autoren wie MacLean dazu, das limbische System als ein ‘primitives Säugetiergehirn’ anzusehen und es dem Isocortex als dem ‘höchsten kognitiven Zentrum’ gegenüberzustellen. Mac Lean betonte, daß Isocortex und limbisches System sehr wenige anatomische Verbindungen zueinander hätten; dies sei der Grund für die bedauernswerte Tatsache, daß Verstand und Vernunft als Leistungen des Isocortex einen nur geringen Einfluß auf unsere Triebe und Gefühle hätten. Poetischer wurde diese Auffassung durch Arthur Koestler in das Bild des Reiters (sprich: Isocortex) ohne Sattel und Zügel auf dem wilden Pferd der Emotionen (limbisches System) gegossen. Anatomisch und funktional ist diese Sicht aber falsch. Mit dem Isocortex sind (…) Teile des limbischen Systems massiv verbunden. (…) In den letzten Jahren wurde entsprechend deutlich, daß neben den vegetativen und antriebhaften Funktionen das limbische System bei kognitiven Leistungen eine wichtige Rolle spielt, die bisher fälschlicherweise als ausschließliche Funktion des Isocortex angesehen wurden. Die allgemeine Funktion besteht in der Bewertung (…). (…) Das Resultat dieser Bewertung wird im Gedächtnissystem festgehalten. Bewertungs- und Gedächtnissystem hängen damit untrennbar zusammen, denn jede Bewertung geschieht aufgrund des Gedächtnisses. Umgekehrt ist das Gedächtnis nicht ohne Bewertung möglich, denn das ‘Abspeichern’ von Gedächtnisinhalten geschieht aufgrund früherer Erfahrungen und Bewertungen des gerade anliegenden emotionalen Zustands.” (Roth, Gerhard: Das Gehirn des Menschen, in: Kopf-Arbeit. Gehirnfunktionen und kognitive Leistungen, hrsg. von dems. und Wolfgang Prinz, S. 119-180, S. 163) Anstelle des Bildes des Rodeo-Reiters auf seinem Wildpferd setzt Günter Palm ein Krokodil in die Schaltzentrale des Bewußtseins. Er entwirft “die Denkfigur von dem kleinen Mann im Gehirn, der auf der Grundlage der gut vorverarbeiteten Informationen, die ihm die Nervenzellen liefern, die Entscheidungen fällt und in den motorischen Apparat die entsprechenden Impulse gibt. Die experimentelle Hirnforschung hat ihn zwar aus den erforschten Hirnarealen zurückdrängen, aber nie ganz loswerden können. Ich habe diesen kleinen Mann jetzt durch ein kleines Krokodil ersetzt.” (Palm, Günter, Assoziatives Gedächtnis und Gehirntheorie, a.a.O., S. 173)
49 “Die Gehirne jener Stammesglieder, die hier getanzt, geforscht, geopfert haben mögen, waren nicht primitiver als die unseren. (…) / Jene Steine, Bruder, jene Tänze und Zeremonien haben ihnen geholfen, einen kulturellen Apparat zu entwickeln, Formen, in die sie ihr Menschsein fassen konnten.” (Störfall, S. 105f.)
52 Aufgrund der weltweiten Kernwaffentests und des Unfalls in Windscale 1957 ist es als wahrscheinlich anzunehmen, daß die radioaktive Belastung in Mitteleuropa auch vor 1986 bereits vergleichbare Werte angenommen hatte. Damals wurden jedoch keine Werte gemessen/veröffentlicht.
54 Störfall, S. 95. Gemeint ist das Lawrence Livermore Laboratory, welches u.a. von Edward Teller, dem ‘Erfinder’ der Wasserstoffbombe geleitet wurde, und in dem lange Zeit zur ‘friedlichen’ Anwendung von Kernwaffen (PNE, peaceful nuclear explosions) geforscht wurde. (Vgl: Vorfelder, Jochen: Die wahren Planetarier träumen von der friedlichen Bombe, in: Greenpeace-Magazin I / 92, S. 40-43)
58 In der Beschreibung des Forschungszentrums wird diese Analogie explizit ausgesprochen: “Höchstbegabte sehr junge Männer, die sich (…) nicht dem Teufel verschrieben haben (ach, Bruder! Der gute alte Teufel! Gäbe es ihn noch!), sondern der Faszination durch ein technisches Problem.” (Störfall, S. 94)
60 Auf wen sich der Begriff ‘Monster’ beziehen könnte, macht der Vergleich mit einer anderen Textstelle deutlich, die wiederum auf das berühmte Capricho von Goya anpielt: “‘Monster’? Aber habe ich gesagt, daß sie Monster waren? Treiben die Utopien unserer Zeit notwendig Monster heraus? Waren wir Monster, als wir um einer Utopie willen – Gerechtigkeit, Gleichheit, Menschlichkeit für alle -, die wir nicht aufschieben wollten, diejenigen bekämpften, in deren Interesse diese Utopie nicht lag (nicht liegt), und, mit unseren eigenen Zweifeln, diejenigen, die zu bezweifeln wagten, daß der Zweck die Mittel heiligt?” (Störfall, S. 48) (Goya: Der Schlaf der Vernunft gebiert Ungeheuer (El sueZo de la razon produce monstruos), Capricho 43) Gleichzeitig klingt Günter Anders an, der – bezogen auf die Atombombe – konstatierte: “Von nun an wird die Menschheit für alle Ewigkeit unter dem dunklen Schatten des Monsters leben.” (Anders, Günter: Gebote des Atomzeitalters, FAZ vom 13.7.1957, zit. nach: Der Montag, der die Welt veränderte. Lesebuch des Atomzeitalters, hrsg.v. Claus Biegert, Reinbek 1996, S. 81)
70 “Alles, was ich habe denken und empfinden können, ist über den Rand der Prosa hinausgetreten. So wie unser Gehirn arbeitet, können wir nicht schreiben.” (Störfall, S. 89)
73 “Im Normalbetrieb gibt ein Atomkraftwerk ständig Radionukleide an die Umwelt ab. (…) Über das Abwasser wird ebenfalls eine Vielzahl radioaktiver Substanzen abgelassen. Von einigen Nukleiden weiß man bereits heute, wie gefährlich sie sind. Im Normalbetrieb eines Atomkraftwerkes wird die Bevölkerung vor allen Dingen mit Strahlen im niedrigen Dosisbereich belastet. Diese Strahlung führt zu einer unspezifischen Störung der Normalordnung des Chemismus und in den Strukturen der betroffenen Zellen. Strahlengeschädigte Zellen, die sich weiter vermehren, zeigen erst nach vielen Zellgenerationen einen sichtbaren Schaden. Der zeitliche Abstand zwischen der Bestrahlung und dem sichtbaren Schaden kann viele Jahre betragen. Bei Erbschäden beträgt die Latenzzeit oft mehrere Generationen. Inkorporierte Alpha- und Beta-Strahlen können meßtechnisch nicht erfaßt werden, da ihre Strahlung wegen der geringen Durchdringungsfähigkeit im bio/logischen Gewebe nicht bis zur Oberfläche des Körpers durchdringt. Zum Beispiel kann Strontium völlig unbemerkt vom Organismus aufgenommen und gespeichert werden. Es gibt praktisch keine Möglichkeit, seine Existenz im lebenden Körper festzustellen und nachzuweisen. Die Verseuchung erfolgt im meßtechnnischen Dunkel. Falsch ist der Schluß: Was ich nicht messen kann, ist ungefährlich.” (Cibulka, Hanns: Swantow, in: Neue Deutsche Literatur 4/81, S. 23-52, S. 39f.) Im Kapitel über die Geschichte der Umweltliteratur findet sich eine ausführlichere Darstellung des Textes und der zensierten Stellen.
74 Cibulka, Hanns: Swantow, in: Neue Deutsche Literatur 4/81, S. 23-52, S. 45, und ders.: Swantow. Die Aufzeichnungen des Andreas Fleming, Halle-Leipzig 1982, S. 74
76 In diesem Kontext unterlief mir ein ‘sprechender’ Tippfehler: “Unformationspolitik”. Auch wenn ich mich anläßlich der Betrachtung des Störfall hier auf die Informationspolitik der DDR beziehe, liegt mir doch daran, an dieser Stelle zu bemerken, daß die offizielle Berichterstattung nach dem Reaktorunglück von Tschernobyl in der BRD lediglich graduell besser war.